Träger warnen vor dem Kollaps

Superintendent Dr. André Heinrich (mitte), TfK-Geschäftsführerin Marlene Ens und Diakonie-Vorstand Andreas Riedel unterstützen die Black Week um sich für ein politisches Umdenken einzusetzen. Bild: Ev. Kirchenkreis Halle


Personalnot, Überlastung, Unterbesetzung und Unterfinanzierung: All das sind Probleme, die in vielen sozialen Einrichtungen bekannt sind.
Um auf die Problematik aufmerksam zu machen, rufen die freien Wohlfahrts- und Sozialverbände in Nordrhein-Westfalen zu einer Aktionswoche auf, die vom 10. – 14. Juni 2024 stattfinden wird. Dabei soll unter dem Slogan „Black Week – Wir sehen schwarz für die soziale Arbeit in NRW. NRW bleib sozial!“ ein Appell an die Politik erfolgen. Auch die Diakonie und der Kirchenkreis Halle mit seinem Trägerverbund für Kitas, bei denen insgesamt fast 1000 Menschen in der Betreuung und Pflege arbeiten, machen bei der Aktionswoche mit.

Bereits im Oktober letzten Jahres demonstrierten sie gemeinsam mit vielen anderen Mitarbeitenden der Wohlfahrts- und Sozialarbeit zusammen mit weiteren Betroffenen vor dem Landtag von NRW und vor Ort. Es folgten im Zuge dieser Kampagne die größten Sozialproteste in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten. Doch eine Reaktion der Politik blieb bisher aus.
„Die gesamte soziale Infrastruktur in NRW steckt in einer bedrohlichen Krise und wird von der Landespolitik ignoriert“, betont Superintendent Dr. André Heinrich. Es werde höchste Zeit zu handeln, um die soziale Versorgung der Menschen in NRW zu sichern – in der Pflege ebenso wie im Kita-Bereich.

Mängelliste in der Pflege wird immer länger

Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, die Pflegeteams unterbesetzt und entsprechend überlastet. „Die Mängelliste in der Pflege wird immer länger und es ist nicht absehbar, dass sich die Situation verbessert. Im Gegenteil: Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der Pflegebedürftigen weiter ansteigen. Aber woher sollen wir die Pflegekräfte nehmen?“, fragt Andreas Riedel, Vorstand der Diakonie im Evangelischen Kirchenkreis Halle.

Um die Attraktivität des Berufs zu steigern, fordert die LAG Freie Wohlfahrtspflege, die Gehälter in der ambulanten und stationären Pflege an die der Krankenhäuser anzupassen – und diesen gewaltigen und vor allem gerechten Gehalts-Anstieg zu refinanzieren.

„Weder der Bund noch die Länder oder Kommunen bemühen sich, eine gesicherte gesetzliche Struktur der Pflege zu entwickeln,“ so Andreas Riedel. Das sei nicht nur für die Mitarbeitende belastend, sondern auch für diejenigen, die auf Pflege angewiesen sind.

Was passiert, wenn nichts passiert? „Dann werden dringend benötigte Pflegeplätze wegfallen. Ambulante Dienste, Tagespflegen und Senioreneinrichtungen können gar nicht anders, als Angebote zu reduzieren oder sogar zu schließen“, sagt Riedel.

Kitabetreuung ebenfalls in Gefahr

Doch nicht nur in der Pflege braucht es ein Umdenken. Auch bei den Kitas ist schnelles Handeln erforderlich. Gruppen im Notbetrieb, verkürzte Betreuungszeiten und Tage, an denen gar kein Kitabetrieb stattfindet: All das sind Situationen, die viele Eltern bereits in ihrem Alltag mit kleinen Kindern erleben und sich Träger- und Länderübergreifend ereignen.
„Da wir schnell gehandelt haben, konnten wir bei unseren Kitas Schließungen vermeiden. Aber unser Personal empfindet eine enorme Belastung, weil im Personalschlüssel reguläre Ausfallzeiten von Urlaub, Fortbildung und Krankheit nicht ausreichend berücksichtigt sind und nicht genügend Stellen eingerichtet werden können“, sagt Marlene Ens, Geschäftsführerin des Trägerverbundes für Kitas im Evangelischen Kirchenkreis Halle.

Dazu kommen der Fachkräftemangel und durch Ruhestand oder andere Gründe vakant gewordene Stellen, die nicht schnell genug mit qualifiziertem Personal nachbesetzt werden können. Über allem schwebt zudem die nicht auskömmliche Finanzierung durch das Kibiz (Kinderbildungsgesetz). „Tarifabschlüsse sind in der Kibiz-Finanzierung nicht richtig berücksichtigt, da die Fortschreibungsrate immer erst ein Jahr später greift müssen wir die daraus entstehende Finanzierungslücke als Träger selbst ausgleichen“, erklärt Marlene Ens. Die dringend notwendige Reform des Gesetzes ist aber erst für 2026 geplant, viel zu spät für einige Träger. „Wir sind alle nicht auskömmlich finanziert, die tatsächlichen Personalkosten und Betriebskosten werden nicht ausreichend berücksichtigt. Was wir brauchen, ist eine Planungssicherheit in Personal- und Betriebskosten, eine neue Ausrichtung des Personalschlüssels und eine umgehende Novellierung des Kibiz, die das alles berücksichtigt“.

Finanzielle Defizite und Personalmangel werden zu weiter reduzierten Öffnungszeiten und Schließungen von Einrichtungen im ganzen Land führen, wenn nicht endlich politisch gegengesteuert wird. „Nur wenn die Kindertagesbetreuung jetzt finanziell unterstützt wird, sichern wir allen Kindern in NRW ein chancengerechtes Aufwachsen und eine gleichberechtigte Teilhabe zu“, sagt Ens, die für 22 Kitas im Kirchenkreis verantwortlich ist.

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